Osnabrücks Oberbürgermeisterin Katharina Pötter verwies in ihrer Begrüßung auf den Krieg in der Ukraine: „Indem wir Sie, Frau Ulitzkaja, ehren, versuchen wir vielleicht ein wenig die Verzweiflung und auch das Gefühl der Machtlosigkeit zu teilen. Für die Stimme des Friedens und der Versöhnung gibt es im Moment noch keine Option“, sagte sie und fügte im Namen der Stadt Osnabrück hinzu: „Ich möchte betonen, dass wir in diesem Konflikt nicht neutral sind. Wir sehen uns auch nicht in einer Vermittlerrolle. Wir stehen als Stadt vielmehr fest an der Seite der Ukraine. Denn Russland trägt ganz eindeutig die Alleinschuld an diesem Krieg.“
Pötter weiter: „Und wenn die Ukraine die Wiederherstellung der Integrität ihrer Staatsgrenzen fordert und den Abzug der Invasionsarmee, die in ihrem Land reihenweise Kriegsverbrechen begeht, dann ist das keine Maximalforderung, von der es im Interesse des Friedens gegebenenfalls auch Abstriche zu machen gilt.“ Diese Forderung sei vielmehr nichts anderes als das gute Recht des unprovoziert überfallenen Landes.
„Vor diesem Hintergrund haben wir auch zu akzeptieren, dass unserer Sonderpreisträger, der bei Kiew lebende Künstler Sergiy Maidukov, nicht unter uns sein möchte beziehungsweise sein kann“, fügte die Oberbürgermeisterin hinzu und betonte: „Ich grüße ihn von dieser Stelle herzlich in der Hoffnung, dass es ihm gut geht und dass er uns zu einer anderen Gelegenheit in Osnabrück besuchen kommt.“
Parallelen zwischen Remarque und Ulitzkaja
Die Vorsitzende der Friedenspreis-Jury, die Osnabrücker Universitätspräsidentin Professor Susanne Menzel-Riedl, spannte einen Bogen zwischen dem Werk Erich Maria Remarques und dem der Preisträgerin: „Und so nötigte uns schon der Namensgeber dieses Preises dazu, auf diesen Krieg zu blicken und eine Person auszuwählen, die den hohen Erwartungen des Schriftstellers gerecht wird, und die in seinem Sinne eine Position zu diesem Krieg hat.“ Der diesjährige Remarque-Friedenspreis solle als ein Zeichen der Hoffnung verstanden werden, dass die Logik des Krieges nicht das letzte Wort haben dürfe. „Das letzte Wort muss die Sprache der Humanität haben, die auch Menschen verfeindeter Staaten verbindet.“
Diese könnten einander aus verständlichen Gründen zurzeit nicht ertragen. „Aber irgendwann muss diese Sprache Wege zueinander bahnen. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Gewalt des Krieges die Sprache von Literatur und Kunst nicht zum Schweigen bringen darf. Sie mag leiser geworden sein und übertönt werden vom tödlichen Lärm des Krieges. Aber irgendwann müssen wir uns dieser Sprache wieder anvertrauen, um wiederzugewinnen, was wir mit diesem völkerrechtswidrigen Krieg verloren haben.“
Die Sprache der Humanität werde nicht nur auf Englisch, Französisch oder Deutsch gesprochen, sondern ebenso sehr auch auf Ukrainisch und Russisch. Hörbar werde sie auch in den Werken Ljudmila Ulitzkajas, die keinen Zweifel an ihrer Scham darüber zulasse, dass ihr Land diesen völkerrechtswidrigen Krieg begonnen hat. „Vielleicht hat Russland durch den Krieg, Sie, sehr geehrte Frau Ulitzkaja verloren, vielleicht haben aber auch Sie durch den Krieg ihr Land verloren.“
Die Laudatorin, die Historikerin und Leiterin des Zentrums für Antisemitismusforschung in Berlin, Stefanie Schüler-Springorum, verwies in einer sehr persönlichen Rede unter anderem auch auf die ironische Distanz, mit der die Schriftstellerin vielen ihren Themen begegne. Mit ihren Texten steige Ulitzkaja tief hinab in die Geschichte, die immer auch von der Geschichte der Familien geprägt sei. „Dabei begegnet dem Leser der beschädigte Sowjetmensch, der von der Angst geprägt ist, die die Diktatur Stalins hinterlassen hat.“ Die studierte Genetikern Ulitzkaja sei erst spät zum Schreiben gekommen, als schon ein langes Leben hinter ihr gelegen habe. Diese Lebenserfahrung präge ihren Stil.
Sehnsucht nach der verwaisten Wohnung in Moskau
In einem Podiumsgespräch ließ Ulitzkaja, die erst kürzlich auch den Günter-Grass-Preis der Hansestadt Lübeck erhalten hatte, einige sehr persönliche Bemerkungen zu. Sie kam etwa auf die Fotos zu sprechen, die in ihrer derzeit verwaisten Wohnung in Moskau hingen. Sie müsse in ihrem Berliner Exil, wo sie mit ihrem Mann in einer kleinen Wohnung lebe, zurzeit mit Kopien dieser Fotos vorlieb nehmen.
Die Schriftstellerin erinnerte zudem an ihre Jugend, in der das Lesen die einzige Möglichkeit der Freizeitbeschäftigung gewesen sei, weswegen Bücher in Russland auch gegenwärtig einen sehr hohen Stellenwert hätten. Und sie betonte den hohen Stellenwert der Freundschaft in einer Diktatur: In einer Diktatur seien Freunde einfach alles.
Ulitzkaja kam darüber hinaus auch auf Erich Maria Remarque zu sprechen, dessen Werke in Russland bis heute sehr populär seien und auch von ihr selbst seit ihrer Jugend sehr geschätzt würden. Es sei für sie eine große Ehre, einen Preis zu erhalten, der den Namen Remarques trägt.
Die niederländische Gruppe De Kift sorgte in der OsnabrückHalle für den passenden, zeitweilig mitreißenden musikalischen Rahmen.